- Zeichnen lernen Schritt für Schritt
- (1) Wie anfangen? Grundlagen
- (2) Freihand - vom Auge zur Hand
- (3): mit Raster von Vorlage abzeichnen
- (4): Schraffieren (Schraffuren zeichnen)
- (5): Schattieren (Licht und Schatten)
- (6): Stillleben zeichnen
- (7): Räume zeichnen (Perspektive)
- (8): Tiere zeichnen
- Zeichnen: Material und Zubehör
Diese ist der zweite Teil des online-Tutorials “Zeichnen lernen“. Gestern ging es um die Grundausstattung fürs Zeichnen (also Papier, Bleistifte, Arbeitsplatz, Kennenlernen des Materials): siehe “Zeichnen lernen I: Wie anfangen? (Grundlagen)“. Heute geht es um die Hand bzw. das, was die Hand macht. Üblicherweise denkt man, dass man nur mit der Hand zeichnet. Aber das stimmt nicht. Man zeichnet in erster Linie mit dem Kopf, dann kommen die Augen, und dann erst die Hand. Ok, klar, natürlich ist “Zeichnen” das Zusammenwirken von Gehirn, Augen und Hand. Ich unterscheide diese drei Instanzen nur deshalb, weil es didaktisch Sinn macht. Wenn man begreift, dass alle drei Instanzen im Lernprozess wichtig sind, wird man schneller vorankommen und einen größeren Lernerfolg haben.
Los gehts! Wie in Teil 1 beschrieben: setzen Sie sich mit drei (oder mehr) Bleistiften an ihren Zeichentisch, der gut beleuchtet sein sollte. Vor Ihnen liegt ein DinA3 Blatt (oder größer). Hinweis: wer noch nicht das geeignete Grundausstattung beisammen hat, sollte viellciht zunächst diese Seite studieren: Zeichnen: Material und Zubehör (Anfänger-Ausstattung)
Übung 1: “Sich frei zeichnen” (Warmzeichnen)
Der Beginn jeder Zeichen-Übung sollte ganz einfach und frei von bildnerischen Zielen sein. Zeichnen Sie einfach wilde Forme und Striche, Kreise, Bögen, Formen etc. Alles ist richtig, nicht ist falsch. Dieses “sich frei zeichnen” sollten Sie auch in Zukunft immer machen. Es geht dabei nur darum, Körper und Geist zu lockern. Es ist so eine Art “Aufwärmtraning“. Achten Sie darauf, wie Bleistifte und Papier zusammenwirken. Und achten Sie auf unterschiedliche Intensität beim Zeichnen: sehr sanft und sehr hart. Welche Linie hinterlässt welche Wirkung?
Diese erste Übung sollte ca. 10 – 15 Minuten dauern. Mit zunehmender Erfahrung können Sie diese Zeitspanne verkürzen. Das Ergebnis zählt nicht. Haben Sie keine Skrupel, das erste Blatt anschließend weg zu werfen. Aber auch wenn Sie das tun: vergessen sie nicht, dass dieses “Warmzeichnen” sehr, sehr wichtig ist. Gerade auch deshalb, weil Sie hier ganz ungezwungen spielerisch experimentieren können. Auch Jahre später werden Sie immer noch Dinge in dieser Aufwärmphase lernen können. Siehe dazu auch: Welcher Bleistift ist zum Zeichnen am besten geeignet?
Übung 2: “Vom Kopf zur Hand”
Nun geht es ans Eingemachte: Zeichnen Sie nun einen Baum, ein Auto und ein Haus. Bzw. versuchen Sie es. Sie werden sehen: es geht nicht. Oder anders gesagt: es ist unbefriedigend. Ohne zu wissen, was dabei herauskommt, kann ich behaupten: das ist nicht gut. Wenn Sie mit dem, was Sie dort zeichnen, zufrieden sind, warum lesen Sie dann hier?
Das klingt trivial, aber es ist eine Erkenntnis. Offenbar haben Sie eine Idee von einer “guten Zeichnung“. Und diese Idee ist eine starke Motivation, aber sie kann auch sehr hinderlich sein. Wenn man sich selber zu sehr unter Druck setzt, blockiert das die Entwicklung. Künstlerische Entwicklung hat sehr viel mit Erfahrung zu tun. Und Erfahrung wiederum basiert auf “Wiederholung”. Seien Sie also erstens nicht zu selbstkritisch und zweitens nicht zu ungeduldig. Das wird schon …
Bild-Klischees sind unbefriedigend
Zurück zu der Übung: Betrachten Sie ihr Ergebnis. Ein Baum, ein Auto und ein Haus. Sie haben es logischerweise aus der Erinnerung gemalt. Aber wohl noch nicht einmal das: es sind Bild-Klischees, die man in so einer Situation aus irgendeiner Schublade in den Untiefen des Gehirns ans Tageslicht befördert. Nur haben diese Klischees leider nichts mit Ihrem Leben zu tun. Es ist nur logisch, dass sie die Zeichnungen uninteressant finden und unzufrieden sind.
Nun stellt sich die Frage: was hat denn mit dem eigenen Leben zu tun? Wie ist den mein “Stil”? Für einen Anfänger ist diese Frage fast unmöglich zu beantworten. Selbst gestandene Künstler sind sich nicht immer darüber im Klaren. Für Sie als Anfänger, der Zeichnen lernen will, ergibt sich daher ein Problem: Wenn nicht klar ist, was gut und was schlecht ist, dann hat man keine Kriterien, anhand derer man vorankommt. Genau aus diesem Grund beginnt man in aller Regel damit, die Natur zu zeichnen.
Was sehen Sie?
Diese erste Übung geht im Prinzip recht schnell. Aber nehmen Sie sich Zeit bei der Betrachtung ihres Bildes und machen Sie sich bewusst, warum Sie zeichnen lernen wollen. Vermutlich wollen Sie eben diese Bild-Klischees überwinden und zu eigenen Kriterien gelangen, anhand derer Sie in der Lage sind, “gute Zeichnungen” zu erstellen. Diese Übung dauert etwa 15-20 Minuten.
Übung 3: Die Augen entdecken
Über den Kopf und die Hand habe ich schon geschrieben, fehlen nur noch die Augen. Um Zeichnen zu lernen, sollte man zunächst nach der Natur zeichnen. Denn dadurch hat man Kriterien. Man kann sehen und benennen, was richtig und was falsch ist. Aus diesem Grund steht seit Jahrhunderten beim Zeichnen lernen das “Studium der Natur” im Mittelpunkt.
Und dafür braucht man die Augen. Das Problem: Auge und Gehirn befinden sich in einem ständigen “Konkurrenz-Streit”. Beide versuchen, uns ein Bild von Wirklichkeit zu geben – jedes auf seine Weise. Man kann sagen: je stärker das Auge dominiert, um so realistischer wird die Zeichnung. Und je stärker das Gehirn sich einmischt, um so mehr wird etwas anderes daraus. Allerdings hat das Auge einen Nachteil: die Informationen des Auges müssen quasi erst durch das Gehirn durch, bevor sie in der Hand ankommen. Man muss also zunächst einmal quasi trainieren, den Kopf abzuschalten.
Zu Beginn sollte man sich jedoch erst einmal auf das Auge einlassen. Die Übung ist folgende:
Sehen Sie sich das Bild vor ihrem Arbeitslatz an. Soll heißen: sehen sie einfach geradeaus - und machen sie ein Bild daraus. Erzeugen sie mit ihrem Auge ein Bild, in dem Sie sich einen rechteckigen Rahmen vor ihrem Auge vorstellen und das, was Sie sehen, ist Teil des Bildes, um den ein Rahmen liegt. Zunächst nur im Kopf, nichst auf dem Papier. Wenn dort nicht ist, dann bauen Sie dort etwas hin: eine Vase, ein paar CDs, ein Kissen, was auch immer. Und nun suchen Sie sich einen “Mittelpunkt”. Irgendetwas Konkretes, das sie sehen. Zeichnen Sie in der Mitte ihres Blattes einen Punkt und schreiben Sie dorthin, was das ist (z.B. “Oberkante des Glases”). Sie können es ja später wieder weg radieren.
Fünf wichtige Punkte: die Mitte und die Ecken
Als nächstes machen Sie Punkte in den vier Ecken des Blattes. Was von dem Bild vor Ihnen würde jeweils in der Ecke sein? Versuchen Sie, jeweils eine einfache Form zu entdecken, zum Beispiel eine Ecke von einem Gegenstand. Zeichnen Sie nun das, was Sie sehen, in die vier Ecken.
Als nächstes gehen Sie wieder zum Mittelpunkt und zeichnen sie um den Mittelpunkt des Bildes herum, was Sie sehen. Auch wenn es ihnen völlig “schief” oder “falsch” zu sein scheint, egal: zeichnen Sie, was Sie sehen. Und dann zeichnen Sie jeweils von der Mitte aus ein paar markante Punkte oder Linien in die Zeichnung.
Sehen und Zeichnen: “Vom Auge zur Hand”
Und anschließend füllen Sie die Flächen, die noch unbearbeitet sind, nach und nach auf. Zunächst die Kanten der Gegenstände. Sie können gerne schon versuchen, Helle und Dunkle Bereiche herauszuarbeiten. Wie man das verbessert, folgt in einem weiteren Tutorial hier. Heute geht es zunächst nur darum, zu verdeutlichen, dass die Hand nur Zeichnen kann, was das Auge diktiert: “Vom Auge zur Hand”.
Diese Übung dauert ca. 30 – 60 Minuten. Sie können Sie natürlich auch wiederholen, indem Sie sich andere Dinge aufbauen oder den Tisch drehen.
Fazit: Auf dem richtigen Weg…
Sie werden sehen: die Zeichnung, die so entstanden ist, hat sicherlich noch sehr viele Fehler und Unstimmigkeiten. Mit etwas Glück finden Sie sie sogar schön. Aber Sie werden beim Anschauen ihrer Zeichnung feststellen, dass Sie auf einem neuen Weg sind. Auf dem Weg, Zeichnen zu lernen…
Morgen geht es dann darum, das “Sehen” zu vertiefen. Zeichnen lernen (3): mit Raster von Vorlage abzeichnen
Wen das Thema "Funktionsweise des Auges" interessiert: "Wie funktioniert das Auge?".
Der Zeichenprozess im Video: im Folgenden Video sieht man im Zeitraffer, wie ich ein Vanitas-Stillleben (mit Totenschädel) zeichne. Im Video kommentiere und erkläre ich die einzelnen Schritte: